Der dampfende Dschungel schaute mit unzähligen neugierigen
Augen auf die geflügelten Ankömmlinge. Eulen gelten seit jeher in
diesem Teil der Welt als Glücksboten und göttliche Wesen. So war es
nicht weiter verwunderlich, dass das Eintreffen von Rarita und Conarius den
Regenwald in Aufregung versetzte. "Zwei Eulen sind über das große
Wasser zu uns gekommen", raunten sich die Tiere im Dickicht erwartungsvoll zu.
Und die Hoffnung auf eine gute Zeitenwende eilte mit der Nachricht bis zu dem
Fuß eines grauen Vulkans, an dem Nuntius, der Kaninchenkauz wohnte. Den
langbeinigen Gesellen überkam sogleich eine unbestimmte Ahnung. Seit
Jahren flackerten in den Anden bald hier, bald dort wüste Kämpfe auf.
Doch als Zugvogel sah es der Kauz schon ein Weilchen: Die Menschen ersehnen
Frieden und beklagen endlich den Mangel an Weisheit. Sollte die Zeit wirklich
reif sein?
Nuntius flog hinunter in den Dschungel, um sich mit dem
schwerfälligen, aber sehr weisen Gevatter Tutor zu treffen. Der
Streifenkauz blinzelte launig: "Na, du Grasländer! Was treibt dich in die
grüne Hölle?" "Die Legenden, du furchtloser Bleiflügel",
grüßte Nuntius keck zurück Er spielte darauf an, dass sein
Busenfreund im Streifenrock zwar ein begnadeter Jäger war, über nicht
wirklich gleiten und ansteigen konnte. Um überhaupt zu fliegen, muss diese
große Eule wahrlich hart arbeiten. "Kannst du dich aufraffen, mit mir an
den Strand zu flattern Ich würde gern wissen, was die zwei Eulen über
den Ozean getrieben hat", lockte das Käuzchen den großen Kauz. Auch
Tutor war sehr gespannt und ließ sich nicht lange bitten.
Rarita
und Conarius hatten gerade ihr Gefieder gerichtet, da trafen schon
Eulenverwandte aus jedem Winkel des Waldes ein. Sperbereule und Gnomenkauz,
auch der winzige Sägekauz - alle waren gekommen und erfuhren nun von der
großen Mission der Eulen. Die Runde der einheimischen Vögel seufzte
erleichtert. Nuntius hatte also recht und fühlte seine Stunde gekommen:
"Lasst mich nach Feuerland aufbrechen, ich kenne den Weg dorthin genau und habe
da viele Freunde. Mit ihnen werden wir gewiss die Nachfahren von Novatrix
aufspüren."
Tutor rechnete: "Du wirst mindestens fünf, sechs
Wochen unterwegs sein. Das ist gut. Denn, wenn du dort Ende November
eintriffst, beginnt die Zeit der langen Nächte, in denen unser Tiertotem
stark wird." Rarita schaute fragend: "Unser Tiertotem?" "Ja, die alten Indianer
haben nach uns Eulen sogar ein Sternzeichen benennt. Es entspricht etwa dem
Schütze-Zeichen in der alten Welt", erklärteTutor und meinte noch:
"Es kann doch nicht schaden, wenn euch die Sterne für die Mission
günstig stehen." Die Eulengemeinschaft benickte einstweilen seine Worte
stumm. Dann aber plauderten sie mit ihren Gästen über alte Mythen.
Als "Heilige der Nacht", Götterboten und Wächterin der Brücke
zwischen Himmel und Erde war die Eule einst hier berufen. Währenddessen
verging die Nacht. Genährt mit uraltem Stolz, verließen bei
Sonnenaufgang die Nachtfalter den Schauplatz, um Nachricht vom gefundenen Hort
der Weisheit auf denn ganzen Kontinent zu verkünden. Nuntius
verabschiedete sich von seinem behäbigen Freund und segelte allein
Richtung Kap Horn, um eine gut versteckte Legende auszugraben ... |