Eine Eulengeschichte - Teil 8

Geschützte Wildnis


Irgendwo in der Nähe waren klagende Bettellaute vernehmbar. Der Mäuserich folgt dieser Tonspur. In einer Sandmulde entdeckt er ein wimmerndes, flauschiges Knöllchen. Ein Waldkauzjunges. Es hatte die sichere Bruthöhle zu Flugversuchen verlassen und war zu Boden gestürzt, während die Euleneltern auf Futtersuche waren. Schnell war dem Mäuserich klar, hier wird ein Babysitter gebraucht. So spricht er auf den Winzling beruhigend ein: "Jammere nicht, dein Mütterchen wird schon kommen. Kennst du schon den neusten Eulenwitz? Der geht so: Eine kleine, ängstliche Eule durchfliegt eine Ruine und trifft eine Fledermaus. Die fragt: 'Was schlotterst du so, Eulchen?' Die Eule gesteht: 'Ich fürchte mich vor Gespenstern.' 'Gibt es hier nicht', winkt die Fledermaus ab. Doch die Eule fragt nach: 'Bist du sicher, dass es hier keine Gespenster gibt?' Und die Fledermaus antwortet: 'Ich hänge hier schon 1000 Jahre herum und bin noch nie einem begegnet.' Kaum hat der Mäuserich die Pointe erzählt, lacht er schallend los. Doch das Vogeljunge schaut nur großäugig, denn es fürchtet sich auch vor Geistern. "Keine Gruselwitze", erbittet sich das Eulchen. "Erzähle mir lieber, was das Eulenbildnis auf dem Schild dort hinten bedeutet." Die Maus verrät: "Geschützte Wildnis." "Und was wird da geschützt?", wispert es darauf. "Die Welt der Pflanzen und Tiere vor den Eingriffen des Menschen. Und zurzeit beschütze ich dich", besänftigt der Mäuserich das Jungtier. Eben hat er das ausgesprochen, schnellt die Eulenmutter wie ein Pfeil aus dem Nachthimmel hinab auf die Maus. Aber das Eulenkind schreit aus vollem Halse: "Nicht, Mama! Lass meinen Freund leben, er hat mich beschützt." Die Eule landet dicht neben der Maus, bestaunt das seltsame Gespann und raunt: "Da muss ich mich wohl bedanken, und du darfst dir natürlich etwas wünschen." "Oh", freut sich der Nager, "würdest du mir einen Rundflug spendieren? Ich habe noch nie die Waldwelt von den Wolken aus gesehen." "Kein Problem", antwortet die Eule, nimmt die Maus auf ihre mächtigen Flügel und schwebt sodann hoch hinauf in die Lüfte. Die Wolken tönten das Mondlicht wundersam golden, als hätten sie ein Nachtgewand angelegt. Daran kann sich die Maus kaum satt sehen, aber die Eule drängt zur Rückkehr, sie will ihr Junges ins Gelege bringen …