Eine Eulengeschichte - Teil 4

Maus im Rausch

Längst hatte den jungen Mäuserich ein mulmiges Gefühl beschlichen. Sein Lauf wirkte unsicher als wankte die Erde unter ihm. Die Schauergeschichten der Eulen saßen ihm im Nacken, und er hatte den Rat seiner Großmutter vergessen: "Suche dir eine Eulenfeder, stecke sie dir an, und du wirst die Angst vor den Schatten der Dunkelheit verlieren." An die Feder hatte die Maus nicht gedacht. Was also gegen die Beklommenheit tun? Das Fell des jungen Mäuserichs flimmert, als ihm endlich der Baum der fröhlichen Gefühle in den Sinn kommt. In der Morgendämmerung erreicht er den säuerlich schnuppernden Ort und nascht sogleich gegorene Früchte. Zu viel auf einmal. Zwar wich augenblicklich die Furcht aus seinen Gliedern, doch nun torkelt der Winzling ziellos und großmäulig krakeelend über das weiche Moos. Aus den Nestern und Höhen des Waldes riefen allenthalben die Bewohner: "Gib' Ruhe, du Trunkenbold!" Doch der Mäuserich trällert unbeirrt: "Ich wand're ja so gerne durchs finstre Waldrevier, hoch über mir die Ster-er-ne, was will die Eule mir? Den Hexenvogel jag' ich fort, ohn' Bang', ganz heldenhaft ..." Im Erwachen findet sich das Mäuschen auf einer kahlen Astgabel wieder. Sein Kopf dröhnt, und es traut seinen Augen nicht: Neben ihm hockt eine prächtige Waldohreule. Die blinzelt ihm freundlich zu: "Keine Sorge, ich tue dir nichts. Ich habe dich nur in einem jämmerlichen Zustand auf einer Wegkreuzung gefunden und konnte dich einfach nicht so liegen lassen. Außerdem bin ich gerade auf Diät, du hast also nichts zu befürchten. Der Mäuserich rappelt sich und betrachtet den flauschigen Vogel: "Bist du ein Hexenfreund?", fragt er schließlich. "Du meine Güte," schüttelt sich die Eule und spitzt die Federohren, "du bist doch eine moderne, aufgeklärte Maus! Glaubst du etwa noch an Hexen?" "Nicht wirklich", antwortet kleinlaut die Maus. "Das wäre ja auch eigenartig", entgegnet milde die Eule und spricht nun eilig: "Ich muss jetzt zu meinen Jungen." Die Maus kann gerade noch vortragen: "Schenkst du mir zum Abschied eine Feder?" Die Eule schmunzelt: "Ah, damit du besser durch die Nacht kommst? Nicht abergläubisch, ha!" Sie zupft sich eine Feder aus, schenkt sie der Maus und schwebt davon …