Irgendwo in den Wolkenwäldern rastete Nuntius. Als er mit dem
Dämmerlicht wieder erwachte, fixierten ihn zwei helle Augen:
"Schläfst du noch oder tust du nur so?" Nuntius blinzelte die kleine
Gestalt an, aus deren koboldartigem Gesicht wirr abstehende Federhaare wuchsen.
"Hast du noch nie ein Kaktuskäuzchen gesehen?", wisperte das aufgeregte
Flatterwesen. Nuntius verneinte. "Kein Kunststück. Es gibt nur wenige von
uns Elfenkäuzchen. Ich bin gewissermaßen der Struwwelpeter unter den
Eulen. Mein Name ist übrigens Juranda und, wenn ich vorstellen darf: das
ist meine zauberhafte Freundin Parvula Sie ist auch ein Elfenkäuzchen,
aber ihre Sippe stellt die kleinsten Eulen auf Erden. Wir werden dich fortan
begleiten." "Das ist nicht euer Ernst", wehrte sich Nuntius und rieb sich den
Blick scharf. "Ich fliege doch nicht mit Eulenzwergen bis ans Ende der Welt!"
"Bilde dir nicht ein, erfolgreich wären nur die Großen und Starken.
Die Kleinen sind zäher!" gab Juranda weise zurück und ließ
keinen Widerspruch mehr gelten. Alsdann flogen sie zu dritt. Bald lag die
tropische Landschaft hinter ihnen, sie kämpften sich gegen die kalten
Winde der Hochgebirge und schwebten weiter über endlos anmutendes
Ödland und moosbedeckte Torfsümpfe.
Im Land des Rauches trafen
die Gesandten im Zeichen der Eule rechtzeitig ein. Sie irrten lange durch
karge, fast verwaiste Siedlungen, besprachen sich mit euligen Freunden und
Anverwandten, aber sie bekamen keine rechte Spur zu fassen. Ratlos suchten die
Eulen noch einem geeigneten Schlafplatz. Vor ihnen log der letzte Ort auf
Feuerland, durch den nur Wind jammerte. Im Gebälk eines maroden Kirchturms
wollten sie Quartier nehmen. Doch kaum drinnen, fauchte sie etwas katzenartig
an: "Packt euch! Hier ist mein Revier." Dem Dunkel entsprang wild und stark
Adventus, der aber verdutzt sogleich seinen Angriff stoppte: "Was grinst ihr
denn so entgeistert?" Im lieblichen Dreiklang antwortete es: "Eine
Schleiereule!" "Ja, und?", herrschte Adventus zurück, "was bringt euch
darüber so in Verzückung?" Juranda fasste sich als Erster. "Kennst du
Novatrix?" "Wer will das wissen?", murrte der Hausherr. "Die große
Eulemission," zirpte Parvula. Adventus musterte die staubigen Gestalten.
Nuntius spürte seinen Zweifel und erklärte: "Die Zeit für das
allerletzte Korn der Weisheit ist reif. Die Eulenwelt hat noch langer Suche
einen kindlichen Hort gefunden. Aber wir wissen nicht, wohin genau Novatrix
einst aufbrach, um es für eben jene Zeit aufzubewahren." Adventus atmete
tief: "Solange ich denken kann, hat niemand mehr noch Weisheit gefragt und nach
den Opfern dafür erst recht nicht." "Kanntest du diese tapfere Eule? Dann
musst du uns helfen!", forderte Nuntius nun eindringlich. "Meine
Großmutter hat sich damals geopfert. Ja, ich weiß, in welche Gegend
sie wollte, aber keine Eule kehrt zurück aus dem ewigen Eis, und ob sie
jemals dort ankam", sprach Adventus traurig. Die Eulenboten blickten sich
erleichtert an, und die sanfte Parvula hauchte: "Eine Eule allein nicht, aber
wir vier zusammen werden es schaffen." Adventus blickte ungläubig hinab
auf die Handvoll Federn, holte dann aber doch ein dünnes Leinen. Darauf
hatte Novatrix vor Zeiten ihre Reiseroute notiert und sie der Tochter
hinterlassen. Jetzt sollte also die Reihe an ihrem Enkel und seinen
Gefährten sein, diesen ungewissen Weg auf sich zu nehmen. Vor Kap Horn
türmten sich gewaltige Wellenberge. Ein Seemann schrie tief unter ihnen
von einem schwankenden Schiffsdeck: "Eine Eule fangen!" Parvula zuckte im Flug
zusammen, doch Adventus beschwichtigte sie: "Er meint damit nur:
plötzlicher Wind von vorn." Sturmgepeitscht öffnete sich von ihnen
die Pforte zur Antarktis ... |