Kalender 2006 - Dezember

Das Eulenquartett hatte Glück, denn der Wind über dem offenen Meer hatte das gleiche Reiseziel. Um der Kälte zu trotzen, hielten sie sich dicht beieinander, dass es aussah, als flöge da nur ein einziges, großes Wesen. Uferlos, tage? und nächtelang. An einem Morgen unter blanken Himmel erreichten sie das weiße Land im ewigen Eis. Gigantische Tafelberge empfingen die Eulen im Silberglanz. Geblendet von der Pracht, kneistete Adventus mit seinen dunklen Augen, die auf die Leinenkarte gerichtet waren: "Wir müssen noch sehr weit. Bis zum Pol der der Unzugänglichkeit. Das ist der Punkt der Antarktis, der am weitesten entfernt von der Küste liegt!" "Unzugänglich ? hm, das gilt nur für laufende, wir fliegen ja", ermunterte Jurando seine Gefährten. Und wirklich, sie kamen gut voran. Denn während der Frost die nördliche Welt umklammerte und nur die Freude auf das Weihnachtsfest die Dunkelheit erhellte, war es hier gerade Sommer. Dabei nicht wirklich warm, aber erträglich. Lange waren die Eulen noch unterwegs. Erst am Silvestertag erreichten sie den anvisierten Ort. "Und nun", fragte Nuntius in die Runde. "Wonach sollen wir suchen? Nach einer Grotte, einem Berg, einer Höhle?" Sie durchspähten die blendende Weite. "Seht doch, dort, vor dem lichten Bogen über dem See hockt eine Schneeeule", rief Aventus. "Vielleicht weiß sie Näheres."

Clarus hatte die exotischen Verwandten längst ausgemacht. Aber der Weise vom Grat wartete geduldig, worauf er sein Leben lang gehofft hatte. Der alte Schatzwächter hatte keine Nachkommen und war deshalb schon sehr in Sorge, wem er am Ende seiner Tage das Geheimnis anvertrauen könnte. Nun nahte seine Erlösung, und ein mildes Lächeln schönte Clarus für diesen Augenblick. Er strahlte derart, dass die Eulengesandten sogleich wussten ? wir sind angekommen. Deshalb verneigte sich Adventus vor Clarus förmlich: "Seid gegrüßt, weißer Gevatter! Wir sind die Eulen, die gekommen sind, den Menschen das allerletzte Korn der Weisheit zurückzugeben. Kann es sein, dass du sein Wächter bist?" Clarus verneigte sich ebenso würdevoll, und wedelte daraufhin wortlos den schneebedeckten Eistropfen frei. Der funkelte still sein lichtes Lied des Lebens.

Dann fiel alle Lost von den Eulen ob. Sie umarmten einander, lachten und tanzten vor Freude. Und die Tiere der Nachbarschaft wunderten sich. Alle kamen, um den Grund der ansteckenden Heiterkeit zu erfahren. Clarus durfte endlich sein Schweigen brechen. So erzählte er von Novatrix, Heri, seiner Schatzwache, und Adventus besprach die große Mission der Eulen.

Darüber neigte sich das Jahr, und ein neues Zeitalter begann. Jeder spürte, es würde ein weises, lebenswertes sein. Noch aber hatten die Eulen ihr Werk nicht zu Ende geführt. Doch es kam, wie vorgenommen. Von Eulenvogel zu Eulenvogel wanderte das Korn durch die halbe Welt seinem neuen Hort entgegen. Dort wohnt es nun in einem kindlichen Wesen und wächst leise und gut beschützt durch die Zeit Denn in den hohen Baumwipfel jenes Waldes wachen noch immer die Eulen.