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Wenn im Garten Eulen heulen
... Von Edith Nebel
... sollte man eigentlich
annehmen, dass selbst einer Stadtrand-Nachbarschaft klar ist, was für eine
interessante Tierfamilie in ihrer unmittelbaren Nähe einzieht. Wir aber
haben nichts bemerkt - bis deren Kinder groß waren. Anscheinend machen
Eulen nur während ihrer Balzzeit "huuh-huuh" und schreien sonst alles
Mögliche, was wir nicht einordnen konnten.
Und so wurden wir erst
auf unsere "neuen Mieter" aufmerksam, als unsere Katzen eines Sonntag Morgens
Anfang Mai wie im Kino auf dem Balkon saßen und gebannt in den Garten
starrten. Irgendetwas Hochinteressantes musste sich da unten ereignen, wenn
ihnen selbst das Geklappere der Futternäpfe egal war!
Ich folgte
ihrer Blickrichtung und sah ein flauschig-graues Tier unbeholfen den Stamm
unserer mittleren Birke hochklettern. Da, wo die Nachbarskinder ein Seil um den
Stamm gebunden hatten, um ihre Hängematte zu befestigen, verharrte das
Tier erschöpft.
Was das wohl war? Für einen Specht - der
öfters genau dort sitzt - war es zu groß und zu tölpelhaft.
Eine junge Katze? Die Größe konnte stimmen ... aber nein, es war ein
Vogel. Ein ungeschickter Vogel. Vielleicht ein exotischer Papagei, der irgendwo
entkommen war und gar nicht hierher gehörte? Ich holte endlich meine
Brille, grabschte mir meinen Hausschlüssel und rannte noch im Schlafanzug
in den Garten. Da sah ich dann, was es war: Eine junge Eule, ein Nestling, noch
nicht flugfähig, mühte sich am Ende ihrer Kräfte, den Stamm
hochzusteigen. Offensichtlich war das Tier aus dem Nest gefallen und versuchte,
nun wieder dorthin zurück zu gelangen. Erschöpft klammerte es sich
mit dem Schnabel an der Hängemattenleine fest und schlug matt mit den
Flügeln.
Was mach ich jetzt?", dachte ich erschrocken. "Den
Kleinen holt doch die Katze! Ich muss ihm helfen. Aber wie? Mit reinnehmen und
ihm eine Portion Katzenfutter anbieten? Wieder auf den Baum hieven? Aber
hört man nicht immer, dass man junge Wildtiere nicht anfassen soll, weil
die Mutter sich dann nicht mehr um sie kümmert?" Und einen Altvogel, der
ein in meinen Ohren aufgeregt klingendes "Bellen" ausstieß, sah ich in
einer unserer riesigen Birken sitzen. "Sicher stehen die Tiere unter
Naturschutz", dachte ich, "und wenn ich dann was falsch mache, hab ich auch
noch den Ärger an der Backe". Ich beschloss, den Tierschutz-verein
anzurufen. Oder den Tiernotfalldienst, und mir da Rat zu holen. Aber in der
Zwischenzeit konnten ja ein paar Fotos nicht schaden.
Ich rief meinen
Mann. "Schnell, in unserem Garten sitzt eine junge Eule. Bring die Kamera!"
Es gibt wahrscheinlich wenig Männer, die aufgrund dessen am hellen
Sonntag Morgen blitzartig aus
dem
Bett springen, in die Kleider fahren und das passende Objektiv auf ihre Kamera
schrauben würden. Wir beide sind zum Glück gleich tierverrückt -
und so war er in Minutenschnelle mit der kompletten Ausrüstung an meiner
Seite.
Der kleine Vogel war inzwischen entkräftet vom Stamm
gerutscht und saß im hohen Gras. Wir gingen auf ihn zu: "Na, Kleiner,
jetzt sag doch, was machen wir bloß mit dir? Sollen wir dich auf den Baum
setzen? Sollen wir dich mit rein nehmen? Magst ein Whiskas? Eine Maus
können wir dir leider nicht anbieten."
Wir sahen uns schon im Geiste
als Eulenhalter. Wäre ja auch eine lustige Vorstellung, mit einem solchen
Tier auf der Schulter in unserem Stammcafé einzulaufen: "Einen
Milchkaffee für mich und eine trockene Eiswaffel für meinen Kumpel da
oben."
Anzufassen trauten wir uns den Kleinen nicht, aber während
Gerhard fotografierte, hatte ich einfach das Bedürfnis, irgendwie
beruhigend auf das Tier einzureden. Auf den Inhalt kommt's da ja nicht so an.
Unserem Kater hab ich auch schon Erich-Kästner-Gedichte rezitiert, wenn er
partout Ansprache verlangte. Die "Menschheitsgeschichte" kann er sicher schon
auswendig.
"Na, bist einer von Harry Potters Eulen-Postlern? Wäre
gescheit gewesen, sie hätten dir erst das Fliegen beigebracht, ehe sie
dich zum Briefeaustragen schicken ..." So einen Quatsch erzählte ich der
kleinen Eule, während Gerhard mit der Kamera um sie
herumging.
Jetzt waren wir ihr doch wohl zu nahe gekommen, denn sie
plusterte sich auf, fauchte und klapperte wie wild mit dem Schnabel. Fauchen
und plustern - ich wusste gar nicht, dass Vögel so etwas taten. Das kleine
Eulchen führte sich ja auf wie eine Katze! Irgendwie erinnerten mich diese
Tiere sowieso immer an meine alte Persermixkatze. Oder sie mich an eine Eule.
Und irgendwo hab ich mal gelesen, dass das Absicht von der Natur sei - die Eule
wie ein gefährliches Raubtier aussehen zu lassen. Das sei auch der Zweck
der Eulen-Ohrbüschel. Keine Ahnung, ob das stimmt. Aber es klingt durchaus
plausibel.
Die Fotos waren im Kasten, und wir wussten immer noch nicht,
was wir mit dem Kleinen anfangen sollten. Die Nachbarn, die sich inzwischen
auch schon auf ihren Balkonen sammelten, um zu gucken, was wir zwei
Bescheuerten da am Sonntagmorgen mit der Fotoausrüstung im Garten trieben,
waren auch nicht schlauer.
Ich rief im Tierheim an. "Wir sind von
Montag bis Freitag von blablabla bis blablabla für Sie zu erreichen",
erzählte mir der Anrufbeantworter. Ah, ja, danke fürs Gespräch.
Der nächste bitte: Tiernotfalldienst. Nach einigem Hin und Her ... neue
Telefonnummer und so weiter ... erzählte mir auch hier eine überaus
angenehme, sonore Männerstimme auf dem Anrufbeantworter, dass das
Notfallteam im Moment wohl gerade bei einem Einsatz sei, und ich solle doch
bitte mein Anliegen und die Telefonnummer nennen, sie würden sich melden.
Das tat ich. Sachverhalt, Name, komplette Anschrift, Telefonnummer, den ganzen
Schmonzes. Ich hab nie wieder was von dieser Organisation gehört. Es ist
wohl wirklich so: "Wenn du eine helfende Hand suchst, findest du sie am besten
am unteren Ende deines eigenen Arms."
Was sollten wir machen? Wir
hatten einen Termin und mussten weg. Die kleine Eule hatte es inzwischen bis
auf den nächsten Strauch geschafft. Wenn die Experten sich nicht blicken
lassen, muss man eben auf konserviertes Expertenwissen zurückgreifen. Mein
"Reader's Digest Buch der Vogelwelt" sagte, dass es normal sei, wenn noch
flugunfähige Nestlinge auf dem Boden herumhüpfen. Man solle die
Jungvögel allenfalls auf den nächsten Baum setzen, die Altvögel
würden sich weiterhin um sie kümmern.
Und in der Tat: Als wir
am Nachmittag wiederkamen, sahen wir ein Eulenjunges oben in der Birke sitzen.
Wir konnten nur annehmen, dass es
"unseres" war. Sie schauen ja aus der Entfernung für uns alle gleich aus.
Abend für Abend hörten wir nun immer das schrille, durchdringende
zweisilbige Gefiepse der Jungvögel und das Bellen der Alten. Vier
Eulenkinder hatten wir inzwischen ausgemacht Ein Altvogel flog hin und her, und
irgendwann in der Nacht war Ruhe. Wir gingen davon aus, dass der Altvogel den
Kleinen das Abendessen vorbeibrachte. Das Gefiepse der Kleinen ist schon etwas
... ähem ... gewöhnungsbedürftig. Es juckt einen in den Fingern,
zum Ölkännchen zu greifen, weil es irgendwie nach quietschender
Tür klingt.
Was wir jetzt noch nicht wussten: Was genau das
für eine Eulenart war. Wir hielten unsere "neuen Mieter" zunächst
für Uhus. Mein Cousin und der Nachbarsjunge vom 2. Stock, der ihnen ja
quasi Auge in Auge gegenüber wohnt, nannten sie "Waldohreulen". Das ist
sozusagen die Taschenbuchausgabe vom Uhu. Ein paar Tage später schickte
uns mein Vater einen Bekannten vorbei, der Mitglied beim NABU ist und ein sehr
erfahrener und engagierter Vogelschützer. Er sah sich die "Familie" an und
erklärte sie auf den ersten Blick zu Waldohreulen.
Er sagte, es
komme häufig vor, dass Waldohreulen in abgelegten Nestern von Elstern
brüten. Naja und Elstern haben wir in den hohen Bäumen in unserem
Garten in rauen Mengen. Und dass wir es richtig gemacht hätten, den
kleinen Vogel in Ruhe zu lassen und ihn nicht mit ins Haus zu nehmen.
Jetzt fliegen unsere Jungeulchen schon ein bisschen von Baum zu Baum.
Und ich glaube, sie finden uns mindestens so interessant wie wir sie. Die ganze
Nachbarschaft ist im Eulenfieber und starrt abwechselnd in Birken und Tannen:
"Haste gesehen? Heut morgen haben alle vier aneinandergekuschelt auf ein und
demselben Ast geschlafen!" - "Schau, da drüben sitzt der Alte!" Wir gucken
ihnen zu, und sie ihrerseits sitzen oft in Reih und Glied auf einem Ast und
glotzen uns auf die Balkone. Bewegen wir uns, bewegen sich auch ihre
Köpfe. Manchmal hab ich das Gefühl, wir geben hier ein kostenloses
Freilichtspiel für unsere kleinen Eulen.
So geht das den ganzen
Tag. Mittlerweile ist jeder in unserer Hausgemeinschaft beinahe ein "Professor
der Eulologie". Wir haben Bücher zu Rate gezogen, Fachleute gelöchert
und das Internet befragt. Und gelernt, dass die Nestlinge unterschiedlich alt
sein können, weil die Eulen ihre Eier nicht alle auf einmal legen. Und
dass die Vögel auch als flugfähige "Ästlinge" noch ein-bis zwei
Monate in der Nähe ihres Nestes bleiben werden. Also: Bis auf weiteres
sind unsere Eulen-Freilichtspiele gesichert.
Nachtrag: "Yippie!
Ich kann fliegen!"
Eine Woche später: Jetzt fliegen sie,
unsere Eulchen! Tagsüber sieht man kaum mehr eine von ihnen. Nun, da sie
flügge geworden sind, treiben sie sich von früh bis spät
wer-weiß-wo herum. Aber sobald es dunkel wird, kommen sie in "ihren"
Garten zurück und drehen dort laut kreischend und quietschend ihre Runden.
Sie haben wohl noch nichts vom hiesigen Nachtflugverbot gehört? Oder gilt
das nur für Flugzeuge? Na ja, ist auch egal.
Es ist auf jeden Fall
ungeheuer faszinierend, ihnen bei ihren Nachtflugübungen zuzuschauen. Bei
den ersten spitzen Eulenschreien sammeln sich die Nachbarn auf den Balkonen und
im Garten, um die Eulenkinder herumflattern zu sehen.
Noch ein bisschen unbeholfen geht es von
Baum zu Baum. Auf den letzten Metern wedeln sie manchmal ganz schön
hektisch mit den Flügeln.: "Schnell-schnell-schnell ein Baum!"
Gelegentlich wird auch eine kleine Zwischenlandung auf einem
Balkongeländer oder Dachfirst notwendig.
Ihr zweisilbiges
Kindergeschrei, mit dem sie in den vergangenen Wochen immer ihr Abendessen
eingefordert haben, ist schrillen einsilbigen Juchzern gewichen. Wir
fühlen uns wie im tropischen Regenwald - oder im "Jurassic Park".
Es kommt einem glatt so vor, als würden die jungen Eulen vor
lauter Lebensfreude schreien. "Yippie, ich kann fliegen! Mami, schau her, ich
bin ein Vooooogel!"
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Alle Foto lassen sich durch Anklicken
vergrößern.
© Text und Fotos: Edith Nebel.
Herzlichen Dank für diese schöne Geschichte!
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