Eine Eulengeschichte - Teil 2

Zwei Halbstarke

Am liebsten wäre die Maus noch zum Plausch der alten Eulenmänner geblieben, um ein bisschen Weisheit zu erben, denn weise sein ist schick, findet die Maus. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, sagte stets und ständig Mutter Maus, erinnert sich der Mäusejüngling. Beherzt setzt er seine Nachtpartie fort. Unweit begegnet er einer jungen Schleiereule. "Hey!", grüßt betont locker die Maus, während sich der Eulerich nur majestätisch aufplustert. Die Pose passt zwar nicht zu seiner jugendlichen Erscheinung, aber übertüncht sehr wohl, dass er gerade ziemlich irritiert ist - eine Maus, die sich in seine Nähe traut! Eulen sind keine Kuscheltiere, sondern lautlose Jäger in der Nacht. Das weiß auch die Maus. Da es aber Weisheit nicht tütenweise im Wald-Imbiss gibt, muss man sich zur Quelle vorwagen, denkt die Maus und spricht nun bedeutungsschwer zur Eule: "Im Reich der Wirklichkeit gelten Eulen als Symbol für Schutz und Weisheit, und deshalb wollte ich …" Doch schon unterbricht sie das laute Pusten des Eulerichs: "Ja, und im Reich der Fantasie sind wir Boten von Hexen, Zauberlehrlingen, aber niemals für Mäuse. Die haben wir nur zum Fressen gern." Indem er das sprach, rückte der Eulerich der Maus bedrohlich näher. Schon schlottert das eben noch gefasste Mäuschen: "Du wirst mir doch nicht ernsthaft das Fell über die Ohren ziehen wollen, während ich die Weisheit der Eulen huldige?!" Die halbstarke Eule raunte nur cool: "Aber sicher, Alter! Was interessiert mich dein Nachtgeflüster? Ich bin ein König der Nacht, habe Macht, was brauch' ich Weisheit? Ich weiß nur, wenn das Futter zu viel quasselt, verdirbt es mir den Appetit." Die Maus sieht, wie der Eulerich die Flügel hebt. Allerhöchste Zeit also für den kleinen Nager, nun doch die Flucht zu ergreifen. Im sicheren Unterholz verschnauft die enttäuschte Maus. Weisheit ist eben keine Gabe der Jugend. Die muss man anderswo suchen …